EinBlick IV-IX 2009

Als ich von Carola und Tilmann Bauer eingeladen wurde, in ihrer Praxis eine Ausstellung zu machen, war ich zunächst eher skeptisch. Ich schaute mir die Räume an, beobachtete eine Darmspiegelung im Lorettokrankenhaus und setzte mich an einem Wochentag für zwei Stunden ins Wartezimmer. Je länger ich mich aber in diese Welt des Magen-Darmsystems hineinfühlte, je mehr ich mich an meine eigenen Erlebnisse als Patient in unterschiedlichen medizinischen Verdauungssystemen erinnerte, je mehr ich auch meine Defizite an Wissen über diesen dunklen Kontinent in meinem eigenen Bauch auffüllte, um so mehr machte es mich neugierig, auch bildnerisch in den menschlichen Körper hineinzuschauen.
Während meines Wartezimmerexperimentes erinnerte ich mich an zeichnerische Projekte, die ich vor Jahren als Selbstbefragung gestartet hatte und die den erfühlten Raum zwischen Schultern und Schambein auf Papierflächen projizierte, ganz flächiger Zeichenrhythmus und filigranes Liniengespinst. Auch fiel mir ein Ausspruch unseres fünfjährigen Sohnes Felix ein: „Du Papa, kann die ganze Welt, mit allen Menschen drin, eigentlich hochhüpfen?“ Beides führte mich weg von den wissenschaftlich ganz korrekten Bildern, mit denen ich zu Beginn experimentiert hatte, hin zu dieser inneren Welt der Phantasie, die es uns ermöglicht, mit den Proportionssprüngen zwischen Mikro- und Makrokosmos zu spielen und dadurch zu Erkenntnissen über uns selbst zu kommen.
Und so wurde mehr und mehr das Warten im Wartezimmer zum Thema, der Moment vor dem Arztbesuch, in dem sich der ganze Wust der Befürchtungen, Ängste und Alpträume, aber auch der Hoffnungen und Wünsche entfalten kann. In dem Fragen nach dem Ende und dem Anfang auftauchen können. In dem dieser Kosmos des Zusammenlebens verschiedenster Lebewesen, unser innerleiblicher Bauchkosmos, der auch von der Anzahl der Nervenzellen her ein zweites Gehirn in unserem Körper ist, zum Bild der ganzen menschlichen Existenz werden kann.

Deshalb habe ich zunächst alle Mitarbeiterinnen und den Arzt dieser Praxis als Wartende im Wartezimmer fotografiert und diese Fotos als Folienausdrucke zwischen zwei Glasscheiben im Wartezimmer präsentiert. In diesen Bildern des sich Versenkens in den eigenen Innenraum werden sie zu Stellvertretern, die für uns Fragen in sich spüren, von denen einige in den Gängen und Räumen der Praxis ins Bild gesetzt werden. Dabei ergänze ich die vorhandenen Gestaltungselemente der Räume durch Bilder immer nur so weit, dass sie in ihrer Präsenz deutlicher werden. Deshalb spreche ich von „Installation“, in der unterschiedlichste Medien zum Einsatz kommen, immer auf die Besonderheiten jedes Raumes und der räumlichen Proportionen abgestimmt.
So gibt es Im Eingangsbereich die drei Hinterglasbilder, deren plakative Formreduzierung Bezug nimmt auf das über Eck angebrachte grüne Notausgangsschild, um so die Markierungen des Fluchtweges als Bildelemente in die Gesamtgestaltung einzubeziehen. Umgekehrt bekommen die Glasbilder durch diese Nachbarschaft etwas von Hinweis-Schildern, auf denen sich ovale und schlauchförmige Formen in wechselnden Positiv/Negativ Konstellationen überschneiden.
Im Wartezimmer gerät der Kindertisch in den Schnittpunkt verschiedener Bezugsachsen zwischen einem großen runden Pappobjekt, der rechteckigen Bildfolge aus Fotos und Grafiken, die mit dem Türrahmen ebenso wie mit dem Dickdarmbogen korrespondiert, und dem großformatigen Gemälde eines wartenden Paares.
Im ersten Flurstück die „psychonautischen“ (Peter Sloterdijk) Bleistiftzeichnungen, die ich bereits erwähnte.
Im kleinen Flur zwei gelb-grüne Wegbegleiter zum Behandlungszimmer: der eine lässt das Pflanzenhafte unserer Leibesmitte auf die Zimmerpflanze antworten. Der andere greift den dynamischen Impuls der blauen Innereien aus dem kleinen Besprechungsraum auf und bringt ihn ins Gelbe und damit zu dem großformatigen Eitemperabild im Arztzimmer, wo eine technisch-geometrische Bogenform in organische Farbstrukturen eindringt.
Im langen Flur vor den Laborräumen schließlich eine Serie von Collagen, die Grenzerfahrungen zwischen Anspannung und Entspannung ins Bild bringen.
In der Endoskopie ein letztes Eitemperabild der Begegnung zwischen Innen und Außen.