Kunst in der Schule

1.      Sinn des Sehens / Sehsinn ( aus der Festschrift zum 100. Jahrestag des Gymnasiums Neustadt, 2001)

 

2.    Rezepte fürs Leben (Beitrag für die ABI-Zeitung 2003)

 

3.    Die Götterhämmerung (Beitrag für das Jahrbuch 2009/10 des Kreisgymnasiums T.-Neustadt)

 

4.   ÜberSehen  2009-2010

Schule als Lern- und Lebensraum
Das Kreisgymnasium Hochschwarzwald in Titisee-Neustadt ist als typischer Siebzigerjahre-Schulbau
von kubischer Strenge und asketischer Unbehaustheit: Es gibt bis heute keine Aula,
in der sich die ganze Schulgemeinschaft versammeln könnte oder in der
Theater- oder Musicalaufführungen möglich wären.
Es gab fast 40 Jahre lang keinen Schüler-Aufenthaltsraum in dieser Schule mit ca. 650 Schülern,
zu der über die Hälfte aus einem Umkreis von bis zu 30 km als Fahrschüler kommen.
Und es gab in der Vergangenheit zahlreiche Einzelversuche,
die abweisende Kargheit des Baues gestalterisch zu überwinden (als Beispiel im Außenraum Aufrichtung und Einweihung der kinetischen Plastik „Ariel“ 2003/4).

Trotzdem zeigte die erste Eigenevaluation des Kreisgymnasiums 2007 deutlich,
dass alle am Schulleben Beteiligten das Schulgebäude immer noch als zu abweisend
und zu wenig identitätsstiftend empfinden und es deshalb verändert sehen möchten.
Die Diskussionen in der Arbeitsgruppe „Schulverschönerung“, die sich aus dem Kollegium gegründet hatte,
führten zu der Überlegung, Fachleute von außen in die Schule zu holen, um die Gesamtsituation
umfassend und unvoreingenommen zu untersuchen.
Es gelang mir, die Künstlerin Rita Deschler und den Künstler Richard Schindler aus Freiburg
für dieses Vorhaben zu gewinnen, die viel Erfahrung mit der strukturellen Untersuchung von Gebäuden
und öffentlichen Räumen haben.
Auf der Basis einer ersten Schulbegehung erarbeiteten wir im Frühjahr 2009 das Konzept für eine
außerunterrichtliche Arbeitsgemeinschaft im Unterstufenbereich (90 Min. pro Woche während des
ganzen Schuljahres), um somit die Jüngsten, die noch am längsten in diesem Schulgebäude leben
werden, in die Erarbeitung von Veränderungsvorschlägen einzubeziehen. Ein Förderstipendium
der Stiftung Ravensburger Verlag über 3000 Euro sicherte die Grundfinanzierung der nach einer Idee
von Rita Deschler von uns „ÜberSehen“ getauften Arbeitsgemeinschaft. Während des Sommers
konnten mit Verweis auf die Förderung durch die Ravensburger Stiftung sieben weitere Sponsoren
gewonnen werden, so dass wir zum Schuljahresbeginn 2009/10 mit 16 Schülerinnen und Schülern
der 6a starten konnten.
Wir fassen das Projekt als ein künstlerisches Forschungsprojekt im sozialen Raum der Schule auf,
mit dem Ziel, bis zum Ende des Schuljahres ein Gesamtkonzept zur gestalterischen Veränderung
des Schulgebäudes zu erarbeiten. Deshalb gehen wir in drei Schritten vor:
Das Projekt beginnt mit einer ersten Phase des Beobachtens im Sinne einer Bestandsaufnahme
dessen, was ist – im Positiven wie im Negativen. Als Vorbereitung darauf machen wir eine Reihe
einführender Fotoübungen zum Umgang mit der Foto- und der Video-Kamera.

Danach wird das gesammelte Fotomaterial untersucht, beschrieben und bewertet.
Wir führen dazu auch ein Projekttagebuch, in dem alle TeilnehmerInnen Protokolle der Teamsitzungen
mit allen Materialien sammeln.

Die Ergebnisse dieser zweiten Phase bilden die Anknüpfungspunkte für die dritte Phase der
experimentellen Bearbeitungen: In Absprache mit der Fachschaft Sport werden die Pokalvitrinen
im Eingangsbereich der Schule in mehreren Schritten verändert, um Ansatzpunkte für ein neues
Gestaltungskonzept nicht nur der Vitrinen, sondern des gesamten Eingangsbereiches zu finden.
Beim Hausmeister wird die üblicherweise ausgeschaltete Zusatzbeleuchtung für die Vitrinen erst
mal eingeschaltet. Die Vitrinen werden ausgeräumt und gesäubert, alle Pokale abgestaubt
und neu eingeordnet. Dabei fällt uns das Maskottchen des DSV (Deutscher Sportverband)
in der rechten oberen Ecke einer Vitrine auf, denn als Glücksbringer tauchen solche Stofftiere
auch überall im Schulalltag auf. Die Gespräche über das Ergebnis der ersten Aufräumaktion zeigen,
dass der ursprüngliche Zustand „ohne Idee“, „chaotisch“, „überfüllt“, somit wenig wertschätzend wirkte.
Wir beschließen, diesen Zustand versuchsweise zu verstärken, aus einer der beiden Vitrinen
eine regelrechte Schatzkiste zu machen. Das Nachdenken über das Maskottchen und seine Bedeutung
führt zu der Idee, den Glücksbringern in Sport und Alltag eine zeitlang auch eine Vitrine zu widmen.
Das Umräumen der Vitrinen ist aufwendig, da die Pokale sehr sorgfältig geschichtet werden
müssen, um sie nicht zu beschädigen. Dadurch wird auch die billige Machart der Pokale
deutlich sichtbar, was den Sportlehrern und einigen Schülern gar nicht gefällt.
Für sie ist das keine Schatzkiste mehr, sondern erweckt nur noch den Eindruck von Gerümpel.
Und die vielen Kuscheltiere scheinen für manchen keinen Bezug mehr zum Sport zu haben.
Plötzlich kommt eine Diskussion über die lange gar nicht mehr beachteten Vitrinen auf.

Nachdem das Schulgespräch droht, in einen Austausch von abwertenden Etikettierungen abzugleiten,
beschließen wir das genaue Hinschauen durch einen Schätz-Wettbewerb zu fördern:
Es wird ein Preis für diejenige/denjenigen ausgesetzt, die/der die Anzahl der Kuscheltiere und Pokale
am genauesten schätzt. Weitere Beobachtungen aus dem alltäglichen Umgang mit Kuscheltieren
und Glücksbringern regen uns zum Bau einer Serie von Sockeln für ausgewählte Stofftiere an.

Die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Füllungen der Vitrinen haben uns gezeigt,
wie wichtig die Menge der gezeigten Pokale für eine wertschätzende Präsentation ist.
So können wir den Sportlern einen Vorschlag für eine Neugestaltung machen,
mit der sie schließlich doch zufrieden sind.
Die Kuscheltiervariante wird dann auch noch eine Zeit lang toleriert.

Immer wieder ist uns aufgefallen, dass die SchülerInnen auf den Treppen und den Fußböden sitzen.
Die Frage nach Möglichkeiten, sich auch in den Fluren kleine Räume des Rückzuges
und des Beisammen-Sitzens zu verschaffen, steht damit deutlich im Raum. Um das Ungleichgewicht
zwischen den so erkennbaren privaten Bedürfnissen und den Nutzungsmöglichkeiten
im Schulgebäude ein Stück besser auszutarieren, schlagen Rita Deschler und Richard Schindler
den SchülerInnen den Bau von tragbaren Hockern vor, was diese begeistert in Angriff nehmen.

Die wichtigsten Anliegen der Schülerinnen und Schüler der 6a sind zu unserer Überraschung eine
Veränderung des Krankenzimmers und der Toiletten. Da die Zeit in der AG dafür nicht ausreicht,
mache ich aus dem Anliegen eine Aufgabenstellung für den regulären Kunstunterricht,
in dem die ganze Klasse in Gruppenarbeit Veränderungsmöglichkeiten für das Krankenzimmer
an selbstgebauten Modellen im Maßstab 1/10 simuliert.
Die Modelle werden dann an einem Nachmittag im Mai 2010 in der AG fotografiert.
Im Juni simulieren wir am 1/5-Modell einer Schülertoilette Veränderungsmöglichkeiten.

Zur Pflege einer positiven Gruppenatmosphäre beginnen und beschließen wir die wöchentlichen
Teamsitzungen mit spielerischen Ritualen.

Parallel zur Arbeit mit den Schülern analysieren Rita Deschler, Richard Schindler und ich
an weiteren Nachmittagen und Wochenenden das Schulgelände und -gebäude im Ganzen
und entwickeln unter Einbeziehung der Ergebnisse der AG „ÜberSehen“
ein Gestaltungskonzept zur Schulverschönerung, das wir mit Hilfe von Modellen
und einigen Computersimulationen anschaulich machen.

Dieses Gesamtkonzept wurde im Herbst 2010 von der Gesamtkonferenz der Lehrerinnen und Lehrer
sowie der Schulkonferenz als Willensäußerung an den Schulträger verabschiedet.

Wir danken unseren Sponsoren: Stiftung Ravensburger Verlag; Förderverein des Kreisgymnasium
Hochschwarzwald; Sparkasse Hochschwarzwald, Titisee-Neustadt; Brigitte Busse Stiftung,
Ebringen; Regierungspräsidium Freiburg; Firma August Weckermann, Eisenbach; Fensterbau
Kraus, Titisee-Neustadt; Schmidt’s Märkte GmbH, Titisee-Neustadt.
Auf folgender Webseite kann ein zusammenfassendes, ca. 18 Minuten langes Video des Projekts
betrachtet werden: http://kunstklasse.com/2010/10/ubersehen

 

5.  Erste Detailergänzungen zum Gesamtkonzept (Juni 2011)

1. Aufstellung der blau-grauen Schülercontainer im 1.OG statt im EG.

2. Entfernung der Pokalvitrinen im 2.und 3.Wandfeld der nördlichen Wandflucht.
Statt dessen Aufstellung einer von innen beleuchteten Vitrine im Bereich gegenüber dem Fahrstuhl:
Gehäuse aus MDF, 4 Glasscheiben aus 8mm Sicherheitsglas, eine Seite geteilt zur Beladung. Kosten laut vorliegender Kalkulation: 1670,-€
dazu kommen Montage, Leuchtmittel, Elektroanschluss: ca. 250 €
Alternativ: Errichtung eines Glasregales neben dem Eingangsbereich.

3. Herstellung einer durchgehenden Wand mit weicher Oberfläche an der nördlichen Wandflucht:
a Anschrauben von horizontal verlaufenden Kanthölzern mit schräger Oberkante in den 5 Wandfeldern zwischen den vertikalen Trägern.
b pro Wandfeld 4 Feinfaserplatten 2,5 x 1,2m mit Kanthölzern oben
und unten (zum Einhängen in die Kanthölzer an der Wand abgeschrägt).
c Zuvor Bespannen der Feinfaserplatten mit Schleiernessel CS (Gerriets),
um ev. Oberflächenverformungen, z.B. durch Ellenbogen- oder Kniestöße, unsichtbar zu machen.
Materialkosten je Wandfeld:
4 Feinfaserplatten( 10 mm dick) = 36,-€
5,5 m Schleiernessel (310cm breit) = 77,-€
15 m Kanthölzer + Schrauben = 40,-€
insgesamt 153,-€
In die Feinfaserflächen eingesenkte Montage der verglasten Anschlagtafeln für die Direktion (2. Wandfeld) und die Oberstufenplanung (4.Wandfeld)

4. Entfernung der dreiflügeligen Ankündigungstafel unter der Treppe in der bisherigen Zugangsachse gegenüber den Eingangstüren.
Statt dessen Aufstellung einer von innen beleuchteten Vitrine zur Präsentation von dreidimensionalen Schülerarbeiten:
Gehäuse aus MDF, 3 Scheiben aus 8mm Sicherheitsglas jew. 1,10m hoch, Rückwand mit Beladungsöffnung,
Gehäusesockel 80 cm hoch, Gehäuseoberteil bis zur Decke mit Montagegitter zum Abhängen von Zwischenböden und für Beleuchtungskörper.
Kosten laut vorliegender Kalkulation: 1824,-€
dazu kommen Montage, Leuchtmittel, Elektroanschluss: ca. 250,-€

5. Verlegung des Haupteinganges als Option.

6. Umgestaltung des Krankenzimmers.
Kosten für Elektroanschlüsse+Leuchtmittel ca. 450,- €

7. Neugestaltung des Hauptanschlagbrettes im Lehrerzimmer, Kosten ca. 50,-€.

 

6.   Realisierung 1: Krankenzimmer (Bericht zur Eröffnung im Juli 2012)

Auch im Kreisgymnasium Hochschwarzwald ist das „Krankenzimmer“ ein räumlich sehr beengtes und ziemlich peripheres Detail eines großen Schulzusammenhanges. Im Focus eines Unterstufenschülers aber, der in einem Moment der Schwäche hier landet, kann dieser Ort zu einem Bild werden, das ihn den Rest des Tages und auch die weiteren Jahre seines Schullebens lang beeinflusst.
Wir haben 2007 das krasse Beispiel eines Elternvertreters erlebt, der bei der Abiturfeier seines Sohne, 20 Jahre nach seinem eigenen Abitur an dieser Schule, dem Kollegium vorwarf, in 20 Jahren nichts gegen die abweisende Schulgestalt und die seiner Meinung nach daraus folgende hinterwäldlerische Pädagogik unternommen zu haben. Es war offensichtlich, dass er eine Menge abwertender Erfahrungen aus diesem Gebäude mitgenommen hatte.
Das Krankenzimmer im Kreisgymnasium hat offenbar lange den Benutzern das Gefühl vermittelt, nur ein Störfaktor im Voranschreiten des allgemeinen Lernfortschrittes zu sein, und das empfanden die TeilnehmerInnen der AG ÜberSehen als ein Zeichen der Missachtung und der Entwürdigung.

Daraus entstand 2009 der selbst für die betreuenden Erwachsenen im ersten Moment überraschende Plan, mit der Umgestaltung des Krankenzimmers jedem Menschen, der diesen Raum gelegentlich nutzen muss, und damit auch der ganzen Schulgemeinschaft, eine andere Botschaft zu vermitteln: „Besonders für die Jüngsten unter uns, die sich noch orientieren und hineinwachsen in die Gemeinschaft, aber auch für jeden anderen, kann es Momente geben, in denen man einen Rückzugsort braucht, sei es, um auf die Abholung durch die Eltern oder die Behandlung durch Sanitäter oder Arzt zu warten, oder sei es, um nach einem Moment der Übelkeit oder der Bauchschmerzen wieder Mut zu fassen für die Herausforderungen in der Klasse“.
„Das Ganze“ einer freundlich zugewandten Schulgemeinschaft sollte in Zukunft die Atmosphäre des Krankenzimmers prägen, um Einzelnen, die es hinauskatapultiert hat, einen Moment der Erholung zu gönnen und ihre Rückkehr positiv unterstützend vorzubereiten.

In einem Prozess von über 2 Jahren haben sich erst 14, dann 8 Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines freiwilligen Zusatzangebotes am Nachmittag, an vielen Wochenenden und in den Ferien, also in ihrer Freizeit, mit Möglichkeiten der Umgestaltung des Schulgebäudes insgesamt und dann konkret dieses Raumes befasst. Es wurden Ideen gesammelt, Modelle gebaut und diese der Schulöffentlichkeit vorgestellt. Als die ersten Versionen beim Schulleiter auf erbitterten Widerstand stießen, da er der Meinung war, dieser Raum müsse abschreckend bleiben, um ständigem Missbrauch vorzubeugen, wurden weitere Ideen gesucht. Aus dem Liegen im Krankenzimmer wurde schließlich eine Bildvorstellung entwickelt: die fröhliche Vielfalt eines Blütenmeeres hat die Gruppe dazu inspiriert, das Oben zum Unten zu machen. Und damit die darstellerischen Probleme nicht zu groß werden, wurde mit dem Prinzip der geometrischen Vereinfachung gearbeitet.
Die Verbindung von abstrahierter Blüte und Lichtspender hat dann zu der jetzt realisierten Lösung geführt, die dem Vorwurf des Schulleiters von allzu unhygienischen Entwürfen begegnete und viel größere Ansprüche an die Ausführenden stellte, als zunächst angenommen. Alle sind an der Entwicklung der Formen, des Farbauftrages und der technischen Probleme der Anbringung unter der Decke, der Lichtführung und der Komposition dieser 4m² Wiese gewachsen. Farben gab es dank einer Spende der Firma STO mehr als genug, was aber eine Menge Geld gekostet hat, war die technische Ausstattung, insbesondere die Lichttechnik. Die SchülerInnen haben zwar einen Kuchenverkauf organisiert und die externen Künstler, die 2010 die Gruppe mit betreuten, haben den Verkaufserlös einer selbstproduzierten DVD gespendet, was insgesamt 120€ zusätzlich erbrachte, aber letztlich entscheidend war ein Zuschuss des Fördervereins in Höhe von 550,-€.
Die Arbeitsgruppe hat allein im letzten Schuljahr 15 Samstag Vormittage, viele Mittwoch Nachmittage, einen ganzen Tag der Weihnachtsferien und der Osterferien 2011 gebraucht, bis Decke und Wände gestaltet waren und der Raum vollständig gereinigt war.

Eine solche Gestaltung des 1. Hilfe-Raumes dürfte an keiner anderen Schule vorhanden sein, zumal durch die finanzielle Unterstützung des Fördervereines modernste LED Lichttechnik eingebaut werden konnte: die Lichtausbeute einer 120 Watt Lampe wird hier mit einem Verbrauch von nur 18 Watt erreicht.
Dabei ist auch Herrn Adam zu danken, der in den Weihnachtsferien 2011 einen ganzen Nachmittag lang bei der technischen Installation mithalf.
Besonderer Dank aber gilt natürlich den Akteuren: Maike Evers, Lisa und Sarah Huh, Konstantin Keller, Elena Kittel, Anuscha Klump, Nikola Maier, Géraldine Mittmann und Laura Möllinger.
Jan Blaß

 

7.   Geist ist geil  ( Beitrag für die ABI-Zeitung 2012)