Rauminstallation in der Kundenhalle der Kreissparkasse Ravensburg, 10.11.-31.12.2014
6 großformatige Bleistift- und Kugelschreiberzeichnungen auf Paier,
12 Papier-Wachsobjekte mit Kugelschreiberzeichnungen nach Facebook-Fotos,
6 pneumatische Blütenobjekte aus Wellpappe, Nylon,
einem PC-Lüfter und jeweils einem elektrischen Zeitschalter.
Wie in allen meinen Installationen beginnt auch hier die Arbeit bei der Befragung des Ausstellungsortes
und seiner geistigen Perspektiven.
Geld ist ein grundlegendes Phänomen unserer Gesellschaft, das mit einem sehr abstrakten Zeichensystem operiert,
das aber mit den Metaphern der belebten Natur beschrieben wird: man spricht von der „Fruchtbarkeit“
und dem „Kreislauf“ des Geldes, von der „Blüte“ der Wirtschaft und dem „Wachstum“ des Brutto-Sozialproduktes.
Geld ist ein Mittel der Wertbestimmung, das einerseits jedem einzelnen individuelle Handlungsräume ermöglicht,
das aber andererseits seine Funktion nur erfüllen kann, wenn alle, die zum Währungssystem gehören,
seiner Glaubwürdigkeit vertrauen.
In dieser Perspektive könnte man Geld auch als gemeinschaftsbildend bezeichnen.
Um in diesem eigenartig ambivalenten Umfeld mit Bildern zu arbeiten, braucht es Kristallisationspunkte,
die Gefühle und abstrakte Zeichenhaftigkeit in einer Form verbinden.
Für die Kundenhalle der Kreissparkasse Ravensburg habe ich eine Installation aus drei Werkgruppen
auf der Basis einer neuen Anordnung der Präsentationskuben im Raum erarbeitet,
die mehrere solcher Kristallisationspunkte bildhaft machen:
Ausschnitt aus der Einführungsrede von Dr. Herbert Köhler am 10.11.2014:
„…Semper augustus ist die Bezeichnung einer seltenen Tulpenzüchtung, die in den dreißiger Jahren
des 17. Jahrhunderts Furore gemacht hatte, – weniger in der Vase, mehr auf dem Finanzsektor.
Grund dafür: Die Nachfrage nach ihr lief aus dem Ruder. Die Tulpenzwiebel wurde zu einem
Spekulationsobjekt, das am Ende fast nur Verlierer zurück ließ.
Sie haben sich hoffentlich den Ausstellungsflyer genau angesehen.
Jan Blaß nimmt den Tulpennamen Semper augustus, schaltet ihn auf der Einladungskarte zur
Ausstellung in Serie und montiert mit drei wesentlichen Abbildungen einen fiktiven Geldschein,
bei dem er den Platz für den Geldwert freilässt.
Dieser Geldschein kann als Eintrittswährung für die Rauminstallation verstanden werden.
Dieser Geldschein ist damit also schon ein Bestandteil dieser Installation.
Das Gesamtkonzept des Künstlers sieht vor, das Konstruierbare dem natürlich Gewachsenen
gegenüber zu stellen, ihre beider Bauprinzipien zu verdeutlichen und in Beziehung zu setzen.
So stellt sich die Frage: Wie verhält sich die Architektur eines Interieurs zur Architektur
einer Pflanze? Oder die Frage: Wie verhalten sich geometrische Konstruktionen zur Organik?
Oder: Wie verhalten sich menschgemachter Ausdehnungsraum und natürliches Wachstum?
Und stimmen ihre Analogien überhaupt?
Nun zur Anlage der Installation.
Jan Blaß bündelt in seiner Rauminstallation Semper augustus drei Möglichkeiten, um sich dem
Prinzip Wachstum und dessen Bedeutungsumfeld allegorisch zu nähern. Dabei bedient er sich
gleichermaßen des Zeichnerischen wie des Objekthaften. So entstehen drei Gruppen.
Die erste Möglichkeit fasst der Künstler in einer Gruppe von sechs monumentalen Zeichnungen
zusammen. Jede belegt jeweils eine Stellwand. Jede ist etwa 2 x 1 Meter groß.
Vier von sechs weisen Faltungen auf, die diese Zeichnungen raumgreifend machen.
Die architektonischen Interieur-Teile der Zeichnungen sind mit Bleistift ausgeführt
und verziehen sich optisch in den Hintergrund. Die mit Kugelschreiber gezeichneten Pflanzen
rücken damit noch stärker in den Vordergrund und überstrahlen die Architekturteile.
Keine der dargestellten Pflanzen ist zu Ende gezeichnet. Sie alle bleiben fragmentarisch
und korrespondieren mit ihren ebenfalls unvollständigen Innenraumbedingungen.
Die Faltungen der Bildträger verstärken diese fraktalen Bezüge zusätzlich.
Jede der sechs Pflanzen steht für eine spezielle Geschichte aus der geldzentrierten Welt von
Wirtschaft und Handel, Finanzen und Spekulation zwischen Macht und Ohnmacht, Kontrolle
und Kontrollverlust.
Fangen wir bei der teuersten, jemals gehandelten Tulpe an, der Semper augustus, der Stets-
Erhabenen, so könnte man übersetzen. Sie steht für das, was als Tulpenmanie mit anschließender
Spekulationsblase in die Wirtschaftsgeschichte einging. Die Semper augustus wurde in den
tulpenverrückten Niederlanden des 17. Jahrhunderts zum riskanten Spekulationsobjekt
für ›durchgeknallte‹ Anleger. Die Blase platzte 1637– nach etwa einem Jahr des Hochschaukelns
–, nachdem für drei Zwiebeln sage und schreibe 30.000 Gulden geboten wurden. Nur zur
Einschätzung: Damals lag das jährliche Durchschnittseinkommen bei 150 Gulden, das teuerste
Anwesen in Amsterdam wurde für etwa 10.000 Gulden angeboten. Man muss sich das
vorstellen: Ein Haus für eine Tulpenzwiebel! – Der Wahnsinn!
Jan Blaß setzt seine gezeichnete Pflanze Semper augustus vor ein Architekturteil mit
geometrischem Flechtband. Ihr gemeinsamer Nenner: Beide, Tulpe und Ornament, stammen aus
dem Nahen Osten und stehen für einstigen Reichtum und Fülle.
Als ob niemand etwas daraus gelernt hätte, erfährt die Wirtschaftswelt 100 Jahre später mit der
Hyazinthe eine ähnliche Manie wie bei der Tulpe Semper augustus. Jedoch kommt es nicht ganz
zu diesen Ausmaßen. Verantwortlich dafür war vermutlich das übersteigerte Hyazinthenfaible
der Madame Pompadour am französischen Hof in Versailles, das sich rasch über europäische
Fürstenhöfe verbreiten ließ. Versailles war für ganz Europa Taktgeber des höfischen
Schnickschnacks in dieser Zeit.
Jan Blaß zeichnet das Gewächs in einem Innenraum des von Norman Foster konzipierten
Firmensitzes von Ernst & Young in Amsterdam, ein Gigant in Sachen Wirtschaftsprüfung,
Steuerberatung, Transaktions- und Managementberatung.
Die Tabakpflanze hat ebenfalls mit der Geld- und Finanzwelt zu tun. Nicht nur, dass man mit
ihrer Produktion und ihrem Export blendend verdienen konnte. Mit der Geschichte des
Tabakhandels wird u.a. auch die Etablierung des Dollars in den 13 Gründerkolonien der USA
verbunden.
Die Verbindung zur Hochfinanz schafft Jan Blaß, indem er die Tabakpflanze mit einem
Hochregal-Lager des Online-Riesen Amazon in Verbindung bringt und dabei etwa an die
gigantischen Fermentierungsanlagen der Tabakproduktion denken lässt.
Seit Biosprit produziert wird, ist die Nachfrage v.a. nach Mais als pflanzlicher Rohstoff rasant
gestiegen. Dies führte zu Monokulturen weltweit mit weitreichenden Konsequenzen für die
Biodiversität.Jan Blaß nimmt die Futterpflanze Mais, um die Allgegenwart des Gewächses als wuchernde
Effizienzzone zu thematisieren und in das Bedeutungsfeld von ungehemmter Landnahme,
Machtausdehnung und Bereicherung zu bringen.
Dazu stellt er die Maispflanze in das architektonische Konglomerat der Maxentiusbasilika auf
dem Forum Romanum in Rom und der Konstantinbasilika in Trier. Die eingestellte Zeichnung
nach einer Statue des römischen Kaisers Augustus soll den universalen Machtanspruch
personifizieren.
Flachs oder Leinen ist eine pflanzliche Naturfaser zur Textilherstellung, die heute fast
vollständig von der Baumwolle verdrängt wurde. Neben dem Handel mit Barchent war das
Spinnen und Weben mit Flachs in Süddeutschland außerordentlich einträglich.
Führend in der Barchentproduktion waren u.a., Biberach, Ulm und eben Ravensburg.
Indem er seine Flachszeichnung in das Atrium des Humpisquartier in Ravensburg stellt,
nimmt Jan Blaß den Faden auf.
Zum Schluss die Baumwolle. Exemplarisch stellt Jan Blaß seine Pflanzenzeichnung in das
Ambiente des Schwörsaals im Ravensburger Waaghaus und verbindet damit wieder Produkt und
Wirtschaftsumgebung.
Soweit die Haupt-Gruppe der Installation, welche die beiden Aufbauprinzipien Architektur
und Botanik verknüpft, um den Begriff Wachstum an der Kombination von Handelsware und
wirtschaftlicher Umgebungsrealität zu verallgemeinern.
Die nächste Gruppe der Installation umfasst sechs gelbe Objekte. Sie verdeutlichen
die pneumomechanische Dynamik von konstruktiv-planerischen Mitteln und natürlich-organischem Wachstum.
Flapsig gesagt: das Prinzip Aufgeblasenheit.
Dazu hat der Künstler sechs blütenähnliche Gebilde in gezirkelter Maßwerk-Manier entworfen
und diese jeweils an ein Gebläse angeschlossen. Bekommen sie Luft zugeführt, verlassen sie ihre
strenge Geometrie und wachsen in langsamer Bewegung nach oben, blühen geradezu auf,
um wieder in sich zusammen zu sinken, wenn der Luftstrom versiegt.
Mit der dritten Gruppe der Installation thematisiert Jan Blaß den sozio-ökonomischen Aspekt
von Geld und Kommunikation. Im vorliegenden Fall beleuchtet er das Online-Portal Facebook
und damit indirekt die aktive Geldmaschine dahinter. Vorne die Mitteilungs- und
Austauschbörse für eine enthemmte Selbstdarstellung, hinten das genauso enthemmte Absaugen
der Nutzerdaten aus Geschäftssinn. Facebook als Janusköpfigkeit.
Für diese Ausstellung hat Jan Blaß zwei Wände für zwölf seiner sogenannten ›Facebook-
Zeichnungen‹ auf Kupfertiefdruckpapier reserviert. Der Künstler sucht nach Gesichtern und
durchforstet die Plattform Facebook nach geeignetem Fotomaterial. Meist isoliert er Menschen,
die sich in einem persönlichen Moment ihres voll-naiven Darstellungsstolzes fotografiert haben
und damit posieren. Porträt und Gruppenporträt sind gleichermaßen privatim wie preisgebend.
Der Künstler nimmt seine Ausgangsfotos dann aber nicht her, um sie mit Kugelschreiber
abzuzeichnen, sondern um sie zur Grundlage ihrer eigenen Umsetzung zu machen. Er hält einen
bestimmten Ausdruck nicht nur fest, sondern bearbeitet ihn bevor er ihn im Künstlermodus
einfriert. Zur Modifizierung gehört auch das Reißen, das Falten und das Biegen des
Trägermaterials und dessen Fixierung mit bläulichem Wachs.
Die Zeichnungen werden so zu Architekturteilen oder Wandobjekten.
Fazit: Jan Blaß hat mit seiner 3-teiligen Rauminstallation Semper augustus eine eindrucksvolle Bildformel
für das Prinzip Wachstum herausgearbeitet.