Rauminstallation im Kunstforum Hochschwarzwald, Titisee-Neustadt
Die seit dem 15. Jahrhundert in Europa entstehenden „Wunderkammern“ waren die ersten ganz dem diesseitigen Beobachten und der darauf gründenden Verwunderung des Betrachters gewidmeten musealen Sammlungen. Die Entdeckungsfahrten des 15. bis 17. Jahrhunderts hatten einen Markt entstehen lassen, auf dem Kunst- und Kultobjekte, unbekannte Lebewesen aus Amerika, und technische Neuheiten gehandelt und von wohlhabenden Bürgern und Adeligen repräsentativ ausgestellt wurden.
Unter den heutigen Bedingungen der selbstverständlichen Verfügbarkeit jedes beliebigen Reisezieles auf der Erde, lockt immer noch vor allem die Ferne als Ort nie zuvor selbst gesehener Wunderlichkeiten.
Das Wunderbare der nächsten Umgebung geht darüber als beobachtenswert oft verloren. Deshalb richtet diese Arbeit das Augenmerk auf eine Auswahl von Besonderheiten aus der nächsten Umgebung des Ausstellungsortes und beginnt mit einer genauen Beobachtung des Ausstellungsgebäudes selber.
Das über 200 Jahre alte Gebäude Salzstrasse 16 befindet sich seit gut 100 Jahren im Besitz der Familie Kraus, nachdem es den großen Stadtbrand Anfang des 19. Jahrhunderts als eines der wenigen zentrumsnahen Gebäude unbeschadet überstanden hatte. Es steht als Einziges in der Nachbarschaft schräg zur Straßenkante auf einem durch verschiedene Zukäufe unregelmäßig trapezförmigen Grundstück.
Die heute vom Kunstforum Hochschwarzwald als Ausstellungsraum genutzte ehemalige Glaserei-Werkstatt erhielt ihre spannungsvoll unregelmäßige L-Form in den 20iger Jahren des 19. Jahrhunderts durch Umbauung des historischen Gebäudes auf den Grundstücksrestflächen.
Diese ganz besondere Raumkonstellation ist Ausgangspunkt meiner Überlegungen und so wird ein Modell des historischen Gebäudes auf dem maßstabsgerecht verkleinerten Grundstück zur Projektionsfläche für Bilder der jüngeren architektonischen Entwicklung des städtischen Raumes (Haus 1).
Ein weiteres Modell (Haus 2) direkt am Eingang zeigt das historische Gebäude mit hoch- und auseinander geklapptem Dach. Hier dient die Innenseite des Daches als Projektionsfläche für einen Bilderstrudel, der aus dem würfelförmigen Sockelteil des Modells vertikal nach oben geworfen wird. Zwei Lampen projizieren Licht durch eine als Scherenschnitt ausgearbeitete kreisförmige Pappscheibe, die von einer Modelleisenbahn langsam im Kreise gedreht wird, sobald sich der Betrachter nähert.
Der Nebenraum auf dem Weg in den hinteren Ausstellungsbereich ist bei anderen Ausstellungen für eine sinnvolle Nutzung oft zu klein. Jetzt wird er durch die Präsentation des 20-minütigen Videos „Zeitraum und Augenblick“ zum idealen Filmkabinett. Die Wiederholung des Videos aus der Sigmaringer Installation in zusammenhängender Form und ganz anderem Umfeld ermöglicht es dem Betrachter, durch entsprechende Positionierung im Raum Klänge und Geräusche des Videos mit den übrigen Geräuschen im Ausstellungsraum zu mischen oder sich soweit in das Kabinett hineinzubegeben, dass die Betrachtung des fiktiven Tagesablaufes von drei Männern und drei Frauen aus dem Schwarzwald ganz im Vordergrund steht.
Das rhythmische Pulsieren eines streng in Dreiecksform angeordneten Blütenfeldes bildet den Übergangsbereich zu dem Teil der Installation, der sich auf gegenwärtige Aspekte des Schwarzwaldes bezieht.
Dieses Blütenfeld bezieht sich auf den „Schwarz-Wald“ als Kulturlandschaft, deren Gestalt ganz wesentlich von den charakteristischen Rodungswiesen und dem sich darauf im Sommer entfaltenden Blütenmeer geprägt ist.
Auf dem würfelförmigen Kubus daneben (Haus 4) befindet sich das topografische Modell des Feldbergmassivs ohne Gipfelzone. Darum herum führt ein Doppelgleis, auf dem das Modell einer roten D-Zug Lokomotive der 30iger Jahre einen Sockel aus schwarz-grau geflammtem Alabastergips zieht. Auch hier fährt der Zug nur, wenn ein Betrachter sich nähert, so dass der Bewegungsrhythmus der Besucher auch das Spektrum der Klänge im Raum, die sich zur Gesamtatmosphäre mischen, ständig verändert. Der sich von unten nach oben stark verbreiternde Sockel präsentiert wie auf einem Tablett, das wiederum die Proportionen des Grundstückes Salzstraße 16 hat, die Gipfelzone mit Seebuck und Feldberggipfel. Hier allerdings ist der Gipfel in einem kleineren Maßstab, zugleich aber mit 10fach übertriebener Höhenentwicklung dargestellt, sodass er alpine Proportionen bekommt.
Dies geschieht vor der Kulisse von zwei Breitwandfotos, die eine Stelle an der B-31 bei Titisee zeigen, an der sich Straßenbauten, zunehmender Autoverkehr und Hochspannungstrassen zu einem gestalterischen Knoten zusammenballen, der durch seine digitale Spiegelung eine idyllische Weite und Großzügigkeit vortäuscht.
Das Ende der achsialen Hauptflucht des Ausstellungsraumes gegenüber dem Haus 1 bilden zwei weitere digitale Fotos, die an das Ende einer städtebaulich ehemals besonders interessanten Stelle Neustadts erinnern, die ehemalige OKAL-Fabrik in Hölzlebruck. Sie wurde 2003/04 zermahlen und zu einer Fläche am Ortseingang Neustadts eingeebnet, auf der zwei Supermärkte errichtet wurden. Dabei hatten Gebäude und Kamin der Fabrik bildhaft sehr eindrücklich und in Sichtkontakt mit dem Münsterturm am anderen Ende des Tales den Übergang zwischen Außenlandschaft und städtischer Industrielandschaft, zwischen Erde und Himmel und zwischen Wirklichkeit und Traum markiert .
Der gegenwärtige, routiniert vollzogene „Fortschritt“ von Technik- und Baukultur des Hochschwarzwaldes ist also ebenfalls ein Aspekt, der Anlass zur Verwunderung in dieser Bilderkammer geben kann.