Rauminstallation „Osterspaziergang“, Kunstverein Biberach/Riß, 7.12.1997 – 12.1.1998
Der Ausstellungsraum im Erdgeschoss des historischen „Komödienhauses“ wird vom davor liegenden Marktplatz aus
direkt auf einer zentralen Achse durch ein Foyer und eine Glastür betreten. Um eine räumliche Übergangszone
zu schaffen und die abgedunkelte Ausstellungssituation vorzubereiten, wird der Zugang durch eine hinter
der Glastür errichtete temporäre Wand in die linke vordere Ecke des fast quadratischen Raumes verlegt.
In dieser Übergangszone werden 4 Leuchtkästen mit Videoprints von Osterspaziergängern auf transparenter Folie
präsentiert. Sie entstanden zu Ostern 1997 in einem Naherholungsgebiet „vor dem Tore“ der Stadt Leipzig (siehe
„auf den Weg machen“). Die Personen sind aus den Folien herausgeschnitten, so dass der Blick durch diese
Öffnungen in die Tiefe der Leuchtkästen fallen kann.
Im Zentrum des Ausstellungsraumes steht eine Gruppe elektropneumatischer Blütenobjekte aus Nylongewebe,
die jeweils eine Basis aus einer 1m breiten Wellpappescheibe haben. Im Zentrum dieser Scheiben befinden sich
PC-Lüfter, die die Nylonobjekte durch eine elektrische Zeitsteuerung in ständig wechselnden Rhythmen entfalten,
bis sie nach etwa einer Minute wieder abschalten, so dass die Blüten wieder in sich zusammen zu sinken.
Diese für den Ausstellungsraum konzipierte Installation ist das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit dem
geistigen Kontext des Raumes, der seit 1979 dem Dichter Christoph Martin Wieland gewidmet ist. Der in der Nähe
Biberachs geborene war dort 7 Jahre Kanzleiverwalter und im Jahre 1761 auch Leiter des Biberacher Theatervereins.
Auf der Basis einer eigenen Übersetzung inszenierte er damals im Komödienhaus Shakespeares Drama „Der Sturm“
als deutsche Erstaufführung. Erfurt, Weimar und den sächsischen Kulturkreis machte Wieland 8 Jahre später
zu seiner Wahlheimat, wo er bis an sein Lebensende blieb und zahlreiche Kontakte zu maßgeblichen
Schriftstellern seiner Zeit knüpfte, insbesondere zu Goethe. Außerdem erfüllte er sich dort den
lang gehegten Wunsch eines Landgutes, um als dichtender Landedelmann
von der durch Menschenhand gestalteten Natur
inspiriert zu werden.
Im „Sturm“ ebenso wie in Goethes „Faust“ stehen Männerfiguren im Mittelpunkt, die auf den Ablauf der Ereignisse
durch Geisterbeschwörung einwirken. Prospero gelingt es, sich den Luftgeist Ariel dienstbar zu machen
und sich mit dessen Hilfe aus der Verbannung auf eine Insel zu befreien.
Faust lässt sich nach dem berühmten Osterspaziergang „vor dem Tore“ auf den Pakt mit dem Teufel ein.
Die einzigartige Stellung des Menschen, der selber Teil der Natur ist,
aber zugleich dank seiner geistigen Möglichkeiten über Natur verfügen kann,
ist Hintergrund beider Dramen und gab den Anstoß zu dieser Installation.